Erfinder und Großvater, Firmenlenker und Nothelfer Eine Begegnung in Baden
Wir treffen Frau Mag. Steindl, Enkelin von Oberingenieur János Siklósi (1894-1969) in Baden bei Wien. Hinter Hecken und Bäumen im Helenental liegen Villen, deren Ausmaß, vor allem aber deren historische Bedeutung man von der Straße kaum abschätzen kann. Direkt neben dem Haus der Familie Steindl liegt das Grundstück der Villa Gutmann, ursprünglich im Besitz der Bankiers- und Kohlenhändlerfamilie, später mondäner Wohnsitz des Ölindustriellen Richard Keith van Sickle (1899-1961) und Elfriede Krasa (1909-1995). In einer Apartmentanlage, die auf einem abgetrennten Teil des ursprünglichen Parks errichtet wurde, hat einst auch Bundespräsident Kurt Waldheim gelebt. Einem Teil der historischen Bedeutung dieser Gegend für die österreichische Ölindustrie werden wir an diesem Nachmittag immerhin näher kommen. In Haus und Garten von Ulrike Steindl beugen wir uns über alte Fotografien, Dokumente und Notizen ihres Großvaters János Siklósi, einst Oberingenieur bei Schoeller-Bleckmann in Ternitz, Freund des Keith van Sickle, legendärer Erfinder, technischer Firmenlenker. Ulrike Steindl hat selbst als Kind im Jahr 1960 einen vom Großvater entworfenen Bohrturm getauft, im Rahmen einer hochoffiziellen Feier. Der Spruch, den das Mädchen als Turmpatin damals zu sagen hatte, ist ihr noch heute im Gedächtnis: „Du sollst Beppo heißen und ein glücklicher Mitarbeiter der österreichischen Erdölindustrie werden.“ Auch die Wochenschau und die Super-8-Kamera des Vaters haben das technisch familiäre Ereignis festgehalten. Technik und Familie hatten Frau Mag. Steindl auch auf unsere Spur gebracht. Der Zwillingsbohrturm von ‚Beppo’, eine Konstruktion namens ‚János Bačsi’ – ‚Onkel János’ , dies der Spitzname ihres Großvaters in der Branche – war als Modell bis vor kurzem Ausstellungsstück im Technischen Museum Wien; und als Ulrike Steindl sich mit historischen Unterlagen zu nämlichem ‚János Bačsi’ ans Technische Museum wendet, wird sie an unser Projekt ‚Rohstoff Geschichte‘ verwiesen. Aus den Dokumenten, Fotos, Filmausschnitten und Erzählungen der Enkelin entsteht das lebendige Bild eines ebenso erfolgreichen wie charismatischen, eines ungewöhnlichen Technikers. Geboren wurde János Siklósi am 7.8.1894 im ungarisch-slowakischen Neuhäusel, ungarisch Érsekújvár, heute slowakisch Nové Zámky. 1914 schließt er in Kaschau (slowakisch. Košice, ungarisch Kassa) ein Studium als Maschinenbauer ab. Technik lag in der Familie, sein Vater war schon Lokführer und soll auch Kaiserin Elisabeth bisweilen nach Gödöllő chauffiert haben. Nach dem Ersten Weltkrieg wird Neuhäusel der Slowakei zugeschlagen, Siklósi wendet sich nach Wien, hier lernt er seine Frau Maria Jezek kennen, ihrerseits Tochter aus der berühmten jüdischen Unternehmerfamilie Pick. Rumpler, Mannesmann-Trauzl und vor allem Schoeller-Bleckmann aus Ternitz sind die beruflichen Stationen des Oberingenieurs im Tiefbohrwesen. Tool joints, besondere, patentierte Verbindungsstücke im Bohrgestänge, der Rotary-Tisch und die klappbaren Bohranlagen sind Innovationen, die unter anderem auch mit seinem Namen verbunden sind. Eine ganze Familie hat Teil an der Entwicklung einer mit der Weltgeschichte verwobenen Industrie. Während des Krieges, ab 1941, ist auch Janós‘ Tochter Ilona, die spätere Mutter von Ulrike Steindl, im Erdölwesen tätig, als geologische Zeichnerin beim Tiefbohrunternehmen Richard. K. van Sickle unter dem Chefgeologen Dr. Ferdinand Aberer (später RAG). Einer sowjetischen Verschleppung nach Baku kann sich János Siklósi nach Kriegsende gerade noch entziehen, mit einem Geologenkollegen versteckt er sich am Dach, während die Häscher in der Wiener Mariahilferstraße die Keller durchsuchen. Doch von der versprochenen ‚weißen Villa‘ am kaspischen Meer wird in der Familie noch heute geschwärmt… In den 50er Jahren geht János Siklósi zu Schoeller-Bleckmann, und auch ein Onkel von Ulrike Steindl mütterlicherseits, Dr. Othmar Steinbauer ist hier tätig, so dass die Firma mit Onkel und Neffe als Oberingenieur und Geschäftsführer fast zum Familienunternehmen mutiert. Auf einen Tip von Großkunde und Freund Keith van Sickle kauft sich Siklósi in Baden das Haus und das Grundstück, in dem wir an diesem Sommernachmittag sitzen. Reisen führen ihn in die Erdölreviere der halben Welt, nach Canada und Texas. Rund um Baden ist ein eigener Chauffeur zur Stelle. Legendär wie seine Maßanzüge und Einstecktücher ist auch die Weigerung des gebürtigen Ungarn, sich ein grammatikalisch seinen Gesprächspartnern bis hin zur Ministerebene angemessenes Deutsch anzueignen. Ihn zu Dolmetschen soll eine Katastrophe gewesen sein, seinem Charme und Erfolg tut das aber keinen Abbruch.
Aus der Pension wird der Oberingenieur in seinen 70ern nochmal ins Unternehmen zurückgerufen. Einmal mehr macht er sich um die Firma verdient und zieht tatsächlich einen millionenschweren Auftrag für Schoeller-Bleckmann an Land. Doch entkräftet und vom Magenkrebs gezeichnet stirbt Janós Siklósi am 5.10.1969 in Baden. Es ist die Geschichte eines genialen Tiefbohringenieurs, eines Famillienmenschen, eines charmanten Technikers, eines Freundes ungewöhnlicher Menschen, die wir in Baden kennengelernt haben. Wir hören Berichte von exaltierten, russischen Fürstinnen, von technischen Innovationen und überforderten Zöllnern am Eisernen Vorhang nach Ungarn, von teuren Herrenhüten, die bei den damals üblichen Technikerritualen ins Öl geschleudert wurden, von Intrigen und den großen deals; Geschichten aus einem an Geschichte reichen Leben. “To my old friend Bačsi, Keith van Sickle” lesen wir eingraviert in einem silbernen Zigarettenetui, darin noch die letzten, vom Großvater nicht mehr gerauchten Camels. Eine Freundschaft, die nicht nur in späten Badener Spaziergängen unter Männern gepflegt worden war. Mit einer regelrechten Sammlung unter der Belegschaft der van Sickle Tiefbohr GmbH, mit 10 Reichsmark pro Person hatte Siklósi im Jahr 1939 dem de fakto kurz vor Kriegsbeginn fast enteigneten van Sickle die Fahrt über die Schweiz nach London finanziert, berichtet die Enkelin. Ein kaum minder eindrucksvolles Zeugnis ist aber nicht aus Silber, es sind Bleistiftzeichnungen auf den letzten Seiten in einem Notizbuch. Mit wenigen Strichen hatte der Großvater der neugierigen Enkelin die Grundprinzipien seiner Erfindungen für Schoeller-Bleckmann erklärt, den Bohrturm, und hier vor allem das Herzstück der Erfindung, das ebenso unauffällige wie geniale, zum Klappen der mehr als 40 Meter hohen Konstruktion geeignete Gelenk; ebenso die neu konstruierten, patentierten Verbindungsstücke im Bohrgestänge, die sich auch nach dem Abreissen wieder einfangen lassen. Als Gelenke und Verbindungsstücke, sie sich ebenfalls mit einigem Abstand wieder einfangen lassen, werden die Dokumente von Ulrike Steindl, werden insbesondere diese Bleistiftzeichnungen selbst lesbar. Das Wissen des Ingenieurs, vor allem aber die Begeisterung des Großvaters für seinen Beruf und sein Fach hat sich hier über die Generationen hinweg mitgeteilt. Als faszinierendes Zeugnis eines Lebens, ja einer ganzen Industrie werden die familiär technischen Dokumente des János Siklósi auch noch für uns zur wertvollen Lektüre.
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